»Potz Louis Harms & Candaze«
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Hatte sich der Vorgängerband dieses Buchs »Tellingstedt & der Weg dorthin« noch überwiegend mit dem »setting« der Rahmenhandlung der Schule der Atheisten befasst dem Leben nach der fiktiven Katastrophe im Jahr 2014 , so bilden die Beiträge dieses Bandes gewissermaßen das Gegenstück hierzu: schwerpunktmäßig geht es um das aus Erinnerungsbruchstücken zusammengetragene längere Gedankenspiel des Protagonisten William T. Kolderup, also um die Schiffbruchs- und Inselgeschichte in der Binnenerzählung, die vom Zusammentreffen zweier Missionare mit drei Atheisten handelt. In der Schmidt-Forschung wird diese Binnenhandlung zumeist als Rechtfertigungsrede des alten, von der wirklichen Welt desillusionierten Senators Kolderup gesehen, der seine Erinnerungen seien sie nun faktisch begründet oder aus Einbildungen bestehend funktionalisiert, um sich die amerikanischen und chinesischen Garantiemächte gewogen zu machen und den Fortbestand des Tellingstedter Reservats wenigstens auf Zeit zu sichern. Die Herausgeber betrachten die Schiffsepisode und die Robinsonade, die in der »Culisse v SPENSER=Island« spielt, jedoch auch als konsequente Fortsetzung des Schmidt'schen Leviathanismus, seiner Abrechnung mit dem christlichen Heilsversprechen in Gestalt einer umgekehrten Theodizee, die in einer Schule des Atheismus mit eigenem poetologischem Wert und Aussagegehalt gipfelt. In Schmidts Robinsonade bestimmen ans Wunderbare grenzende Zufälle das Geschehen, die um es mit Goethes bekannter Definition der Novelle zu halten in einem Reigen »unerhörte[r] Begebenheit[en]« bestehen. Wir begleiten Schmidts Protagonisten Kolderup auf eine fingierte Zeitreise in das Jahr 1969, das Jahr der Niederschrift der »Novellen=Comödie in 6 Aufzügen«. Die Binnenhandlung ist wie der gesamte Roman Ausdruck, aber auch Dokument der zunehmenden Unsicherheiten in der modernen Welt angesichts der bedrohlichen Weltlage und des ideologischen Wettstreits in Zeiten des sich zuspitzenden Kalten Krieges. Schmidt fühlte sich wie sein Protagonist Kolderup einem »Ahnen=, & Enkel=Dienst« (SdA 177) an der Literatur verpflichtet, in der Nachfolge seiner literarischen Lieblinge, die von der Schmidt-Forschung als »Hausgötter« bezeichnet werden. Die Schule der Atheisten als Roman des Spätwerks ließe sich somit als Erfüllung eines schriftstellerischen Vermächtnisses verstehen, dass die Literatur und sei es auch nur als »Karikatur unsrer Großn Romane« (SdA 181) einen poetischen Wahrheitsgehalt zu beanspruchen habe, deren einzige »Bürgschaft« (SdA 290) in einem Zitaten-Patchwork aus Robinsonaden, Felsenburgiaden, abenteuerlichen Reisen im Stil Jules Vernes, Bibelversatzstücken und sogar Re-Importen aus der altchinesischen Philosophie besteht; ganz ähnlich, wie es T. S. Eliot am Ende seines Langgedichts The Waste Land aus dem Jahr 1922 eingestanden hat: »These fragments I have shored against my ruins«. Das mit der Haupthandlung verzahnte »DazwischenSpiel« so benennt der Autor den Sprung in die Zeitkapsel im »Comödienzettel« (SdA 9) des Romans markiert eine Zwischenstation in retardierender Absicht: Vor dem als wahrscheinlich anzunehmenden finalen »Krieg der Welten« (H. G. Wells) werden in den zahlreichen Rückblenden vornehmlich die Gespräche zwischen den schiffbrüchigen Atheisten und den zwei als »Missis« (SdA 173) bezeichneten mitreisenden Missionaren wiedergegeben. Geht es in der Rahmenhandlung vornehmlich um die »Bezauberung« der Außenministerin der USA »zur Festigung der gefährdeten Reservatsexistenz«, so dreht sich die Binnenhandlung »mehr oder weniger um die Zeugung der hohen Frau auf einer Insel der Bewährung«. Das Ende dieses Interludiums bleibt jedoch offen: Butt, der eine der mitreisenden Atheisten, fällt der kurzzeitigen Illusion eines Paradieses auf Erden anheim, wird bekehrt und begibt sich anschließend in die fürsorgliche Obhut des »United Christendom« (SdA 299). Gottfehd Schweighäuser, der zweite Atheist in der eingewobenen Inselhandlung, ist nur noch am Schiffbruch beteiligt einer Inszenierung der amerikanischen »missionärrischen« Medienindustrie. Nach dem Inselasyl seiner Begleiter macht er sich zu seinen Verwandten nach Minnesota davon, wie zu vermuten ist, in Begleitung der beiden Missionare. Zurück bleibt nur der junge William T. Kolderup. Nach 45 Jahren blickt der nun alt gewordene Kolderup auf diese Jugendepisode zurück und trotzt als Senator und Friedensrichter in Tellingstedt weiter Gott und der Welt. Er leitet die Geschicke eines Reservats der Amerikaner, deren Außenministerin, die Tochter der damaligen Missionarin Marjorie Kennan, nun im Jahr 2014 als »ISIS« der norddeutschen Kolonie einen Besuch abstattet. Die Welt steuert indes auf eine größere Katastrophe zu. Schmidts »Novellen=Comödie« stellt Leserinnen und Leser vor viele Fragen: Wer sollte damals, im Jahr 1969, eigentlich missioniert werden nur der leichtgläubige und wetterwendische Butt, gleichsam um ein Exempel zu statuieren, oder doch vielleicht irgendwelche Heiden in den Weiten des Pazifiks? Wohin ist das Missionsschiff »Kandace« (SdA 189) eigentlich unterwegs? Welcher Blick wird auf die weltweite Missionstätigkeit der christlichen Kirchen geworfen, und aus welchen Quellen speisen sich die Kontroversen zwischen den »Missis« und den trotz aller Skepsis bibelfesten »Atheisten« eigentlich? Woher nahm Schmidt sein Wissen, um aus der Bibel, dem Buch der vielen Bücher, sein eigenes Buch der Bücher montieren zu können? Und schließlich: Könnte nicht doch im christlichen Erlösungsglauben so etwas wie ein Funke Hoffnung aufglimmen? Schmidt belässt vieles, das dem Leser zur Reflexion aufgegeben ist, im Ungefähren. Unser Vorgängerband wollte einige Ansätze aufzeigen, weitere Antworten versuchen die Beiträge dieses Bandes zu geben. Die Frage jedoch, was Arno Schmidt nach einer langen Anlaufphase zur Niederschrift seiner »Novellen=Comödie« nun genau motiviert haben mag, wird auch dieses Buch nicht in allen Einzelheiten beantworten können. Zu den Beiträgen dieses Bandes Die fünfzehn Beiträge sind in drei Abschnitte aufgeteilt: »Poetologisches«, »Missionärrisches« und »Kollegiales«. Den gemeinsamen Rahmen aller Beiträge bildet wie in diesem Vorwort dargelegt das sogenannte »DazwischenSpiel« der Schule der Atheisten, wenngleich unterschiedliche Gewichtungen vorgenommen werden; teilweise kommt es dabei zu inhaltlichen Überschneidungen, die letztlich aber durchaus erwünscht sind. Im ersten Abschnitt sind Beiträge versammelt, die sich mit der Poetologie der »Novellen=Comödie« befassen, also im weitesten Sinne mit Arno Schmidts Selbstverständnis als Schriftsteller, der Schreibart der Schule der Atheisten und mit dem Verhältnis von Rahmenhandlung und Binnenerzählung, wobei auch die doppelte Optik von Autor (Schmidt) und Erzähler (Kolderup) Berücksichtigung findet. Eingeleitet wird der Abschnitt mit fünfzehn Thesen zum »DazwischenSpiel«, die als Problemaufriss und Lesehinweis fungieren. Sie schließen damit, dass die Schule der Atheisten als eine Anleitung zum skeptischen Denken zu verstehen sei. In diesem Sinne möchten die Herausgeber auch die einzelnen Beiträge dieses Bandes betrachtet wissen: nicht als Weisheit letzter Schluss, sondern als durchaus kritisch zu hinterfragende Deutungsversuche. In seinem grundlegenden Aufsatz »Kolderups Dilemma« geht Ulrich Klappstein der Problematik nach, ob William T. Kolderup überhaupt als zuverlässiger Erzähler verstanden werden kann. Man kann diese Frage vermutlich nicht beantworten, ohne die schwierige Lage zu berücksichtigen, in der sich Kolderup als Leiter des Reservats nach der Ankunft der amerikanischen und chinesischen Regierungsdelegationen in Tellingstedt befindet. Die Situation stellt komplexe Herausforderungen an sein Rollenverständnis als vermittelnder Friedensrichter, lasten doch auch die koloniale Vergangenheit Deutschlands und die Vorgeschichte des Reservats in Zeiten des Kalten Kriegs auf seinen Schultern quasi als eine Art atheistischer Albatross (ähnlich dem altem Seefahrer bei Coleridge). Um K…
Weitere Informationen
- Allgemeine Informationen
- Beiträge von Wolfgang Brandes, Armin Eidherr, Ulrich Klappstein, Heiko Postma, Heiko Thomsen
- Schöpfer Ulrich Klappstein, Heiko Thomsen, Wolfgang Brandes, Armin Eidherr, Heiko Postma
- Editor Ulrich Klappstein, Heiko Thomsen
- Titel »Potz Louis Harms & Candaze«
- Format Kartonierter Einband
- EAN 9783862763184
- Größe H33mm x B170mm x T240mm
- Untertitel Texte zu Arno Schmidts »Die Schule der Atheisten«
- Gewicht 941g
- Herausgeber Neisse
- Illustrator Jens Rusch
- Genre Deutsche Sprach- & Literaturwissenschaft
- Lesemotiv Verstehen
- Anzahl Seiten 560
- GTIN 09783862763184
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