"Was mir fehlt, ist ein Zuhause"

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Details

Die Publikation geht der Frage nach, weshalb jüngere Menschen, die aufgrund einer Behinderung auf Hilfestellung bei der Alltagsbewältigung angewiesen sind, teilweise gegen ihren ausdrücklichen Willen in Altenheimen leben. Anhand von 36 Interviews mit Betroffenen und Experten hat der Verfasser die direkten Anlässe und komplexeren Ursachen-Zusammenhänge dieses bisher kaum beachteten Phänomens untersucht. Neben den Ergebnissen liefert er einen historischen Abriss zum Behindertenbetreuungswesen in Deutschland und verwirft den gesetzlichen Behinderungsbegriff als Ausdruck einer rein medizinisch-defizitären Perspektive auf die so bezeichneten Menschen.

Der Autor

Markus Drolshagen, Jahrgang 1971, studierte Anglistik, Neuere Deutsche Literatur und Medienwissenschaften in Marburg und Halifax, Kanada. Nach der Erlangung des Magistergrades im Jahr 2000 spezialisierte er sich auf dem Gebiet der qualitativen Sozialforschung. Seit 2004 ist er assoziiertes Mitglied des Graduiertenkollegs Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit.

Leseprobe
V Vergleichende Auswertung der Interviewergebnisse (S. 235-236)

Der nachfolgende Quervergleich basiert - wie bereits erwähnt - auf den oben präsentierten 14 Einzelauswertungen sowie auf denjenigen zwölf Fällen, die aus Platzgründen im vorigen Kapitel nicht vorgestellt und dokumentiert wurden. Dabei soll zunächst eine Typologie von vier Gruppen präsentiert werden, die sich an den unmittelbar auslösenden Gründen für die jeweilige Heimunterbringung sowie an deren Begleitumständen orientiert. Im Anschluss an diese Zuordnung, die eher auf formale Aspekte rekurriert, sollen die individuellen Rationalisierungsprozesse typenübergreifend verglichen werden. Anschließend soll aufgezeigt werden, inwiefern eine Divergenz zwischen den von unseren Interviewpartnern geäußerten Wünschen nach einem Wechsel der Wohnform einerseits und den inzwischen tatsächlich eingetretenen Veränderungen ihrer Situation andererseits besteht. Schließlich werde ich im Zuge eines Exkurses die mit der Reform des Vormundschaftsrechts 1992 ursprünglich verbundenen Intentionen skizzieren und in diesem Zusammenhang die tatsächliche Praxis in den von uns dokumentierten Betreuungen untersuchen. Darüber hinaus werde ich in diesem Abschnitt die Ergebnisse einer Ende 2003 durchgeführten Befragung zweier gesetzlicher Betreuer präsentieren und am Rande auf das im April 2005 verabschiedete 2. Betreuungsrechtsänderungsgesetz eingehen.

1 Anlässe und Begleitumstände der Heimunterbringung

1.1 Die Betroffenen hatten die Heimunterbringung selbst initiiert

Immerhin sieben unserer Interviewpartner286 erklärten, die Entscheidung, in ein Altenheim zu wechseln, weitgehend eigenständig und ohne Einflussnahme Dritter getroffen zu haben. In allen sieben Fällen war die Entscheidung letztlich aus einer subjektiven Einschätzung der eigenen Lebenssituation heraus erwachsen: Die Betroffenen fühlten sich durch die Einschränkungen, welche die jeweilige Behinderung oder psychische Erkrankung im Alltag mit sich brachte, überfordert und gelangten zu der Annahme, dass sich solche Einschränkungen nur mittels eines Heimeinzugs kompensieren lassen würden. Grundsätzlich ist festzustellen, dass bei allen Betroffenen ein hohes Maß an Autonomie und Durchsetzungsvermögen vorliegt, da sie trotz der jeweiligen Einschränkungen oftmals große Mühen auf sich genommen haben, um den Plan, die gewohnte Wohnform aufzugeben und in ein Heim zu ziehen, zu verwirklichen. Es ist zudem evident, dass jeder Betroffene selbst die größte Kompetenz im Umgang mit der eigenen Behinderung oder psychischen Erkrankung besitzt.

Allerdings belegt der Fall von Herrn Prengel (s. Kap III, 10.) beispielhaft, dass den Betroffenen der Wechsel in ein Heim zwangsläufig dann als die vermeintlich einzige Lösung erscheinen muss, um ihre behinderungsbedingten Einschränkungen zu kompensieren, sofern sie keine adäquate Beratung hinsichtlich alternativer Wohnformen oder Unterstützungsmöglichkeiten in Anspruch nehmen konnten. Selbst wenn man dies im Falle von Herrn Prengel unterstellt, ist nicht nachzuvollziehen, weshalb er - seit dem Heimeinzug im Alter von 39 Jahren - von keiner Seite auf alternative Möglichkeiten, seinen äußerst geringen alltäglichen Hilfebedarf sicherzustellen, aufmerksam gemacht worden ist.

Wie aus der Einzelauswertung unseres Interviews mit ihm hervorgeht, war Herr Prengel, nachdem er 16 Jahre lang im Heim gelebt hatte, an keinerlei Veränderung mehr interessiert und hielt diese offenbar auch nicht mehr für realisierbar. Seine Resignation gipfelte in der Abschlussbemerkung: "Ach, ich bleib' hier bis, bis se mich 'raustragen."

Inhalt
1;Inhaltsübersicht;6
2;Inhalt ;8
3;I Einleitung;18
4;II Problemstellung und Forschungsstand;22
4.1;1 Zum Begriff der Behinderung;22
4.1.1;1.1 Die gesetzliche Definition nach
2 Absatz 1 SGB IX;23
4.1.2;Die Definition der Weltgesundheitsorganisation ( WHO) von 2001;24
4.1.3;Der materialistisch- dialektische Behinderungsbegriff nach W. Jantzen;25
4.2;2 Die historische Dimension des institutionellen Einschlusses;27
4.2.1;2.1 Edouard Séguins Konzept einer physiologischen Erziehung;28
4.2.2;2.2 Die Entstehung einer protestantisch- pietistischen Behindertenfürsorge;31
4.2.2.1;2.2.1 Johann Hinrich Wichern und die Rettungshausbewegung in Deutschland;31
4.2.2.2;2.2.2 Ausbau und Organisation des Anstaltswesens nach Gründung der Inneren Mission;33
4.2.3;2.3 Die gesetzliche Regelung der staatlichen Behindertenfürsorge ab 1891;37
4.2.4;2.4 Die Medizinisierung der Behindertenfürsorge;40
4.2.4.1;2.4.1 Anstalten als Stätten der Heilung - das psychiatrische Paradigma Wilhelm Griesingers;40
4.2.4.2;2.4.2 Anstalten als Forschungsstätten - Emil Kraepelins Klassifikation der psychiatrischen Krankheitseinheiten;42
4.2.5;2.5 Von der perfektionierten Aussonderung zur Forderung nach Freigabe der Vernichtung " lebensunwerten Lebens";45
4.2.6;2.6 Die institutionalisierte Tötung behinderter Menschen im Hitler- Faschismus;49
4.2.7;2.7 Schritte in Richtung Deinstitutionalisierung der Behindertenbetreuung seit der Nachkriegszeit;51
4.2.7.1;2.7.1 Die Wohnstätten der Bundesvereinigung Lebenshilfe als Alternative zu großen Anstaltskomplexen;51
4.2.7.2;2.7.2 Die Befunde der Psychiatrie- Enquête und ihre Konsequenzen;54
4.3;3 Zur Unterbringung jüngerer Behinderter in stationären Altenhife- Einrichtungen;56
5;III Darlegung und Begründung des Forschungsdesigns;63
5.1;1 Methodologische Überlegungen zur qualitativen Datenerhebung;63
5.1.1;1.1 Die Gruppendiskussion;63
5.1.2;1.2 Das narrative Interview;67
5.1.3;1.3 Das problemzentrierte Interview;71
5.2;2 Zur qualitativen Betroffenenbefragung;76
5.2.1;2.1 Kriterien für die Auswahl der Interviewpartner;77
5.2.2;2.2 Der Interviewleitfaden;78
5.2.3;2.3 Die aktivierende Komponente bei der Betroffenenbefragung;79
5.3;3 Die Aufbereitung des Erhebungsmaterials;81
5.4;4 Wahl eines adäquaten Auswertungsinstruments für die Betroffenenbefragung;83
5.4.1;4.1 Die Qualitative Inhaltsanalyse;84
5.4.2;4.2 Die Gegenstandsbezogene Theoriebildung (Grounded Theory);86
6;IV Ausgewählte Fallstudien ;91
6.1;1 Das Interview mit Frau Altenberg vom 27.03.02;91
6.2;2 Das Interview mit Annette vom 27.03.02;100
6.3;3 Das Interview mit Herrn Büsch vom 25.04.02;110
6.4;4 Das Interview mit Herrn Diddl vom 03.04.02;123
6.5;5 Das Interview mit Frau Ernst vom 07.05.02;130
6.6;6 Das Interview mit Herrn Karls vom 17.01.02;144
6.7;7 Das Interview mit Frau Krause vom 12.12.01;154
6.8;8 Das Interview mit Herrn Mausebach vom 21.05.02;166
6.9;9 Das Interview mit Frau Neels vom 05.06.02;175
6.10;10 Das Interview mit Herrn Prengel vom 06.02.02;187
6.11;11 Das Interview mit Herrn Ritter vom 12.03.02;193
6.12;12 Das Interview mit Herrn Seidel vom 26.06.02;204
6.13;13 Das Interview mit Herrn Trautmann vom 25.06.02;219
6.14;14 Das Interview mit Frau Zettel…

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Weitere Informationen

  • Allgemeine Informationen
    • GTIN 09783865960559
    • Auflage 1. Auflage
    • Genre Politische Soziologie
    • Anzahl Seiten 316
    • Hersteller Frank & Timme
    • Größe H210mm x B148mm x T18mm
    • EAN 9783865960559
    • Format PDF
    • ISBN 3865960553
    • Veröffentlichung 20.03.2006
    • Titel "Was mir fehlt, ist ein Zuhause"
    • Autor Markus Drolshagen
    • Untertitel Fehlplatzierung jngerer Behinderter in hessischen Altenhilfe-Einrichtungen
    • Gewicht 411g
    • Herausgeber Frank und Timme GmbH

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