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Bonfire Night
Details
Bei einer Recherche im Schularchiv findet Sasha eine Skizze von sich selbst seltsam genug, doch das Dokument ist über einhundertsiebzig Jahre alt! Bald stößt sie auf eine Verbindung zwischen sich und der Urheberin. Und auf eine Gefahr, vor der sie gewarnt werden muss. Am selben Ort, doch lange Zeit zuvor, schlägt sich die scharfsinnige Annie 1851 im Armenviertel Londons durch. Als falsche Hellseherin täuscht sie ihre Kundschaft, bis sie tatsächlich eine Vision hat und an der Seite eines unerfahrenen Constables in die Ermittlungen um eine Mordserie hineingezogen wird. Getrennt durch viele Jahrzehnte, scheinen die Leben von Sasha und Annie nichts miteinander zu tun zu haben. Doch als sich ihre Schicksale kreuzen, setzt die Begegnung etwas Düsteres in Gang. Uralte Rätsel, die sich um entführte Mädchen, ein gestohlenes Pendel und die Geschehnisse der Bonfire Night ranken, werfen ihre Schatten auf die Welt. Heute wie damals.
Autorentext
Katie Kento, 1993 in NRW geboren, schreibt seit ihrem neunten Lebensjahr fantasievolle Geschichten fur junge Leser*innen. Nach ihrem Bachelor in Kulturwissenschaften mit den Schwerpunkten Literatur und Medien hat sie ihren Master in Integrated Media abgeschlossen und arbeitet nun freiberuflich als Autorin.
Leseprobe
Annies Augen waren an den Schleier gewöhnt. Durch den Stoff vor ihrem Gesicht sah sie zu, wie der Londoner Nebel gelblich wabernd durch die Luke kroch. Er war heute besonders schwer und glitt an der mit Tüchern behangenen Wand herunter, um sich in der Kammer der Wahrsagerin Madame Gwendolyn mit dem Dunst von nebenan zu vermischen. Der Qualm, der durch den Türspalt aus Odettes Opiumkeller hierher strömte, war klebrig und süß. Er ließ Annies Schläfen pochen und ihren Magen flau werden, verursachte einen tauben Geschmack auf ihrer Zunge. Sie hasste das Zeug. Der Nebel von draußen hingegen triefte vor den Ausdünstungen Whitechapels er stank nach Fäkalien und Fäulnis, trug den Verwesungsgeruch des Fleischmarktes und die beißenden Dämpfe der Gerbereien mit sich. Doch er klärte ihren Kopf und weckte die vom Drogendunst getrübten Sinne. Annie beobachtete schlammverkrustete Stiefel, die eilig am Fenster über ihr vorbei stapften. Kaum jemand verbrachte mehr Zeit als nötig in der Dorset Street, der schlimmsten Straße Londons, wie man sagte. Erst recht nicht kurz vor Einbruch der Dunkelheit. Ein tonloses Seufzen entwich ihr. Es würde wohl niemand mehr kommen. Zeit heimzugehen. Sie hob den Schleier ein Stück an und beugte sich über die Kerze, die vor ihr auf dem Tischlein flackerte. Heute war ein jämmerlicher Tag gewesen. Insgesamt hatte sie kaum mehr als einen Sixpence verdient und davon musste sie das meiste an Odette abtreten. Die Schreckschraube erhöhte beinahe täglich die Zinsen auf Annies Schulden. Es klopfte. Sie hielt den Atem an und schaute hoch zum Ausstieg, der auf die Straße führte. Kundschaft? Ein weiteres Pochen. Es war harsch und ungeduldig. Annie wusste nun, mit wem sie es zu tun hatte. Sie ließ ihren Schleier sinken und die Kerze weiterbrennen, erhob sich mit einem theatralischen Stöhnen und humpelte um sich auf ihre Rolle einzustimmen unter Ächzen und kratzigem Gemurmel die Stufen zur Tür hoch. Diese hatte sie, wie es jede vernünftige Person getan hätte, mit mehreren Riegeln verrammelt. Nachdem sie einen prüfenden Blick durch das Guckloch geworfen hatte, brauchte es eine Weile, bis die Scharniere gequält jaulten und die Tür zur Straße hin aufschwang. Madame Gwendolyn. So beeilen Sie sich doch, hörte sie eine vertraute Stimme brummen. Die Worte klangen rau und herb, nach kaltem Zigarrenrauch. Hier draußen stinkt es wie in einer Senkgrube. Ein Grinsen umspielte Annies Mundwinkel, als sie den wohlgekleideten Gentleman im Schlamm der Dorset Street stehen sah. Bursche, krächzte sie. Stell dich nicht an wie einer, der mit 'nem Silberlöffel im Maul geboren wurde. Es verschaffte ihr eine diebische Freude, auf diese Weise mit Inspector Turner zu reden. Annie war die einzige Person in ganz London, die sich das erlauben konnte. Darf ich reinkommen?, raunte er. Die Leute starren mich an. Was kreuzt du hier auch in Frack und Zylinder auf, gekleidet wie'n feiner Pinkel! Haste vergessen, wo du herkommst? Es war allgemein bekannt, dass Theodore Turner sich aus ärmlichsten Verhältnissen in den Polizeidienst hochgekämpft hatte. Annie brachte ihm dafür eine gehörige Portion Respekt entgegen, doch er selbst wurde nicht gern daran erinnert. Ein Glanz der Bitterkeit huschte über seine Augen, als er sich an ihr vorbeischob und die Treppe herunter humpelte. Der polierte Gehstock verursachte ein dumpfes Geräusch auf dem Lehmboden. Das Bein schien ihm heute zu schaffen zu machen. Hab dich früher erwartet, behauptete Annie, die in Wahrheit überhaupt nicht mehr mit einem Besuch des Inspectors gerechnet hatte, und verriegelte die Tür. Er war offensichtlich verspätet und in Eile. Ein Mann wie er plante einen Ausflug in die Dorset Street nicht zu so später Stunde. Ich bin aufgehalten worden. Hatte keine Zeit mehr, mich umzuziehen, bestätigte Turner. Annie hievte sich die Treppe herunter und achtete darauf, nicht über ihr Gewand aus bunten Stoffstücken zu stolpern. Na, immerhin biste nicht in Uniform hier. Wie beim ersten Mal. Damals hatte der Inspector ihr das Geschäft für mehrere Wochen verdorben. Die Menschen in Whitechapel waren nachtragend, und sie hielten sich fern von denen, die mit den Peelern sprachen. Madame Gwendolyn, begann Turner, noch bevor Annie mit geduckter Haltung wieder auf ihrem Schemel Platz genommen hatte. Es geht um die Vermisstenfälle. Welche?, lachte sie gallig auf. Die Stadt verschlingt täglich Dutzende von Menschen, Bursche. Und sie spuckt die meisten nicht mehr aus. Heute waren die Eltern eines Mädchens bei mir, das hier ganz in der Nähe Sie wissen, von welchen Fällen ich spreche. Natürlich. Annie verdrehte hinter ihrem Schleier die Augen. Wegen einer verschwundenen Näherin hatte Turner den Weg sicherlich nicht auf sich genommen. Letzte Woche sind wieder drei verschollen. Ein Arzt, ein Advokat und ein Journalist. Immer Herren. Herren mit Geld. Sie verkniff sich einen Kommentar über die Prioritäten von Scotland Yard und dachte stattdessen an die Belohnung, die es zweifelsohne geben würde. Annie hatte darauf spekuliert, dass Turner sich in diesem Fall früher oder später an sie wenden würde. Nun wollte sie sich nicht darüber beklagen. Das kostet, Bursche. Eine Krone. Turner gab ein trockenes Lachen von sich. Zwei Shilling. Eine Krone, beharrte sie. Eine halbe Krone, schlug er vor. Eine Krone. Ein aberwitziger Preis, das war ihr klar. Doch Annie gab sich für einen Moment dem Tagtraum hin, die Summe durchzusetzen. Das Geld würde beinahe genügen, um Odette auszubezahlen! Turner schüttelte den Kopf. Drei Shilling. Drei Shilling und 'n Tanner! Der Inspector rang sich ein Nicken ab. Annie entzündete ein Räucherstäbchen an der Kerze. Dann hob sie die behandschuhten Hände und zeichnete mit dem würzigen Rauch Muster in die Luft. Ihre Bewegungen waren fließend, routiniert. In grauen Runen, die nichts bedeuteten, hingen die Schwaden zwischen ihr und Turner, bevor sie sich auflösten und die Sicht in der Kammer eintrübten. Summend und murmelnd schunkelte sie vor und zurück, als erwartete sie eine Eingebung des Himmels. Dabei trat ein seliger Ausdruck auf das Gesicht hinter dem Schleier. Annies Alltag kannte nicht viele Freuden, doch diese Darbietungen waren der Teil ihres Geschäftes, der ihr das meiste Vergnügen bereitete. Unvermittelt zuckte sie und stieß ein Röcheln des Entsetzens aus. Ich höre sie. Madame Gwendolyns Stimme nahm einen noch tieferen, noch borstigeren Tonfall an. Annie schüttelte sich unter dem Gewand, so als würde sie von angstvollem Schaudern ergriffen. Ihre Gebeine klimpern. Es ist das Lied des Todes! Sie musste sich nicht bemühen, um ihre Hand mit dem Räucherstäbchen zittern zu lassen. War sie erst einmal in die Rolle der Wahrsagerin eingetaucht, glaubte sie fast selbst an das Scha…
Weitere Informationen
- Allgemeine Informationen
- GTIN 09783985955541
- Editor Wreaders Verlag
- Sprache Deutsch
- Auflage Erstauflage
- Größe H208mm x B147mm x T31mm
- Jahr 2023
- EAN 9783985955541
- Format Kartonierter Einband
- ISBN 978-3-98595-554-1
- Veröffentlichung 25.04.2023
- Titel Bonfire Night
- Autor Katie Kento
- Untertitel Raben über Whitechapel
- Gewicht 470g
- Herausgeber NOVA MD
- Anzahl Seiten 362
- Lesemotiv Eintauchen
- Genre Lesen ab 12 Jahren